- Welternährung: Ernährungssicherung und Ertragsentwicklung
- Welternährung: Ernährungssicherung und ErtragsentwicklungDas Leid, das mit diesen nackten Zahlen verbunden ist, trifft die Menschen in den Entwicklungsländern ganz individuell. Doch die Verantwortung, die aus dieser Situation erwächst, ist eine kollektive globale. Sie stellt die Welt vor eine ihrer wichtigsten Aufgaben: Wie lässt sich trotz wachsender Weltbevölkerung die Ernährung aller sicherstellen? Grundlage der menschlichen Ernährung ist seit Jahrtausenden die Landwirtschaft. Sie nutzt die Produktionskraft der Natur, ist aber auch abhängig von ihrer Unbill. Landwirtschaft ist eine elementare Verknüpfungsform des Menschen mit der Erde, vielfältig in ihrer Gestaltung und ihrer Wirkung auf das Ökosystem.Die begrenzten AnbauflächenNur etwa zehn Prozent der Landfläche lassen sich landwirtschaftlich nutzen. In den gemäßigten Breiten konnte die Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten die Produktion stetig steigern. Immer intensiver wurden Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel eingesetzt, um hohe Erträge zu erzielen. Eine Folge waren Überschüsse, die — um die Marktpreise zu halten — zum kleineren Teil vernichtet, zum größten Teil gelagert wurden, was zunehmend Kosten verursachte, während in anderen Teilen der Welt Hunger herrschte. Eine andere Folge waren Umweltprobleme: Schäden an Boden und Grundwasser traten ein, die Artenvielfalt ging zurück. Mittlerweile hat eine Neuorientierung begonnen: Wie soll die Landwirtschaft der Zukunft eine lebenswerte Umwelt, vielfältige Landschaften, Lebensraum für Pflanzen und Tiere gewähren, Wasser und Boden schützen und gleichzeitig die globale Verantwortung für die Welternährung integrieren? Wie werden in Zukunft die Erzeugung und die Nachfrage nach Lebensmitteln aussehen?Die ersten Hochkulturen entstanden in besonders fruchtbaren Regionen der Erde. Jahrhundertelang erschloss der Mensch neue Flächen für Ackerbau und Viehzucht, erweiterte so die Nahrungsgrundlage und schuf damit stets die Basis für ein weiteres Wachstum der Bevölkerung. Heute sieht sich die moderne Gesellschaft vor andere Bedingungen gestellt. Das Wachstum der Weltbevölkerung ist vor allem in solchen Regionen hoch, die mit ertragsschwachen Böden und ungünstigem Klima nur schlechte naturräumliche Voraussetzungen für die Landwirtschaft bieten. Da die Flächenreserven der Welt weitgehend ausgeschöpft sind, muss eine Erhöhung der Erträge in Zukunft vor allem durch höhere Produktivität auf den vorhandenen Flächen verwirklicht werden.Heute weiß man, dass die Nutzung natürlicher Ressourcen die ökologische Stabilität nicht gefährden darf. Schäden für das Ökosystem können sowohl durch ungezügelten Flächenverbrauch als auch durch ein Zuviel an künstlichen Eingriffen entstehen. Doch dies ist nicht erst ein Problem unseres Jahrhunderts, wie ein Blick in die Geschichte der Landwirtschaft Mitteleuropas zeigt.Entwicklung der ErträgeDie heutigen Landschaften in Mitteleuropa sind das Ergebnis einer jahrhundertealten Nutzung durch den Menschen. Im Mittelalter zum Beispiel waren mehr als 80 Prozent der Fläche Mitteleuropas gerodet und unter landwirtschaftlicher Nutzung, das ist deutlich mehr als heute. Trotz großer Anbauflächen kam es in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu Hungersnöten. Um 1350 wurden die vom Hunger geschwächten Menschen von der Pest heimgesucht, die Schätzungen zufolge 25 bis 35 Prozent der Bevölkerung auslöschte.Trotz der geringen Ernteerträge führte die Landwirtschaft bereits zu enormen Umweltschäden. Die praktizierten Anbaumaßnahmen und -methoden, zum Beispiel bei der Bodenbearbeitung, führten zu massiven Eingriffen in den Wasserhaushalt, zur Bodenverarmung und vor allem zur Bodenerosion. Diese nahm nach sechs katastrophalen Jahren mit extrem hohen Niederschlägen innerhalb nur eines Jahrzehnts ein Ausmaß an, das dem der vorhergehenden 500 Jahre entsprach: Von ackerbaulich genutzten Hängen in Mittelgebirgen wie dem Harz schwemmte der Regen 500 Tonnen Boden pro Hektar fort — das entspricht einer Tieferlegung um mehr als 100 Zentimeter.Bis zum 17. Jahrhundert wurden die Äcker fast ausschließlich mit Getreide bestellt. Bereits im Mittelalter führte man im Getreidebau mit der Dreifelderwirtschaft ein Prinzip ein, das später in geregelten Fruchtfolgen mündete. Im 18. Jahrhundert kamen dann neue Nutzpflanzen auf. Kartoffeln und Rüben nahmen bald zusammen ein Viertel der gesamten Ackerfläche ein.Erst in unserem Jahrhundert löste Mais als Futterpflanze die Stickstoff sammelnden Leguminosen Klee, Luzerne und Erbse ab. Die Entwicklung der Landtechnik und der Agrarchemie ließ die Erträge bis heute kontinuierlich ansteigen. Die Weizenerträge zum Beispiel dürften im Mittelalter bei lediglich 0,6 bis 1,5 Tonnen pro Hektar gelegen haben, heute sind es dagegen sieben bis neun Tonnen. In den gemäßigten Breiten ist es den Landwirten inzwischen sogar möglich, mit Intensivlandwirtschaft die genetisch und züchterisch mögliche Ertragsgrenze des Weizens von zwölf Tonnen pro Hektar weitgehend zu erreichen.Der Boden wird »müde« — so bezeichnen Bauern seit langem die Beobachtung, dass die alljährliche Bestellung eines Ackers mit immer der gleichen Kulturpflanzenart wie etwa Weizen oder Zuckerrüben mit den Jahren zu rasch sinkenden Erträgen führt. Schon früh bemerkten sie, dass ein Jahr Anbaupause (Brache) oder der Wechsel mit anderen Kulturarten dem Boden seine »Kraft« erhält, ja sogar für ein deutlich besseres Pflanzenwachstum sorgt. Heute weiß man, dass dies vor allem mit folgenden Faktoren zusammenhängt:Verschiedene Kulturpflanzenarten haben unterschiedliche Wurzelsysteme. Sie lockern den Boden unterschiedlich tief, entziehen ihm Nährstoffe in unterschiedlicher Menge und Zusammensetzung, lösen zugleich aber auch Nährstoffe aus den Bodenbestandteilen. Die verschiedenen Kulturpflanzenarten werden von unterschiedlichen Krankheiten und Schädlingen befallen und bieten bestimmten Wildkrautarten bessere Lebensbedingungen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft als andere Feldfrüchte.Nach der Ernte bleiben mit den abgestorbenen Pflanzenresten nicht nur Nährstoffe für den Boden, sondern auch spezielle Krankheitsherde und Wildkrautsamen auf dem Acker zurück. Wird immer wieder die gleiche Kulturpflanze angebaut, so vermehren sich die Konkurrenten (Krankheiten, Schädlinge, Wildkräuter) zunehmend, während der Boden einseitig ausgeschöpft wird. Ein Wechsel der Feldfrüchte dagegen vermeidet dies; er nutzt die Eigenarten der Kulturen und sichert die Ertragsfähigkeit langfristig. So führt Diversität zu Stabilität.Dieses Prinzip nennt man Fruchtfolge. Es ist die jährliche Abfolge von Kulturpflanzen auf einem Acker, die sich zyklisch wiederholt. Hat ein Bauer mehrere Felder, so führt er auf diesen die Fruchtfolge zeitlich versetzt durch, damit er in jedem Jahr verschiedene Kulturpflanzen anbauen kann.Im Mittelalter war zunächst die Urwechselwirtschaft die Grundform der Fruchtfolge, später wurde sie von der bekannten Dreifelderwirtschaft abgelöst. Auch heute sind dreifeldrige Fruchtfolgen in der mitteleuropäischen Landwirtschaft weit verbreitet, etwa in der Form »Raps —Weizen —Gerste« oder »Zuckerrüben —Weizen —Gerste«.Es gibt allerdings auch sehr großflächige Monokulturen, in denen Jahr für Jahr die gleiche Fruchtart auf demselben Acker angebaut wird. Dann sind in der Regel jedoch eine entsprechende Düngung und vor allem chemischer Pflanzenschutz unerlässlich. Mais zum Beispiel wird häufig in Monokultur angebaut.Globale Ernährungssicherung heute und morgenAuch heute noch sind die Bodenbeschaffenheit und das Klima die entscheidenden Faktoren für die potenzielle landwirtschaftliche Nutzbarkeit einer unerschlossenen Region. Von den weltweit rund 13 Milliarden Hektar Landoberfläche sind etwa 4,3 Milliarden Hektar Wüste, Gebirge und anderes Ödland, 3,8 Milliarden Hektar Wald und Steppe, 3,4 Milliarden Hektar Grünland, Weideland und Prärie und nur 1,5 Milliarden Hektar Ackerland. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, die FAO (Food and Agriculture Organization), schätzt, dass in den Entwicklungsländern (ohne China) bis zum Jahr 2010 noch 90 Millionen Hektar in ackerbauliche Nutzung überführt werden können; mit 850 Millionen Hektar Gesamtackerfläche dürfte dort dann die Grenze der Flächenausdehnung erreicht sein.Weltweit betrachtet, nimmt derzeit die landwirtschaftlich nutzbare Fläche sogar ab. In den Industrieländern werden ertragsschwache Flächen zumindest vorübergehend aufgegeben oder stillgelegt. Und in den Entwicklungsländern geht der landwirtschaftlich nutzbare Boden zunehmend durch Urbanisierung, Industrialisierung, Straßenbau und Abfallentsorgung verloren. Neben dem Boden wird in Zukunft auch Wasser zunehmend zum Mangelfaktor. Ursachen sind zum einen der zunehmende Wasserverbrauch, der mit dem Bevölkerungswachstum, dem zunehmenden Lebensstandard und der steigenden Industrialisierung einhergeht, zum anderen aber auch die Wasserverschwendung.Regional gibt es erhebliche Unterschiede in der Verfügbarkeit von Frischwasser. Lediglich auf dem amerikanischen Kontinent ist Wasser — von einzelnen Gebieten einmal abgesehen — kein knappes Gut. Auf Wasservorräte besonders angewiesen ist zum Beispiel der vor allem in Asien verbreitete Reisanbau. Insgesamt trägt die Bewässerungslandwirtschaft fast 40 Prozent zur Weltnahrungsmittelproduktion bei. Wasserverknappung kann sich deshalb leicht auf die Versorgungslage mit Getreide und die Nahrungsmittelpreise auswirken. Somit ist das Wasser auch ein Faktor von hoher politischer Brisanz.Für die Zukunft prognostizieren Experten weltweit einen langsameren Anstieg der Nahrungsmittelproduktion, aber auch des Bevölkerungswachstums. Produktivitätszuwächse und eine Entwicklung zu Getreideexportstaaten werden China und auch den ehemaligen Sowjetstaaten eingeräumt.Die globale Versorgungslage, ausgedrückt in verfügbaren Kilokalorien (kcal) pro Kopf und Tag, wird sich somit wahrscheinlich auch weiterhin verbessern lassen. In den vergangenen 30 Jahren konnte die Versorgung im Weltdurchschnitt von 2300 auf 2700 kcal pro Tag angehoben werden. In den Entwicklungsländern stieg sie von 2000 auf 2500 kcal pro Tag und dürfte sich bis zum Jahr 2010 auf 2700 kcal pro Tag verbessern.Veränderte ErnährungsgewohnheitenMit der allmählich verbesserten Wirtschafts- und Ernährungssituation verändern sich in vielen Ländern der Dritten Welt inzwischen auch die Ernährungsgewohnheiten: Der Fleischkonsum als Zeichen steigenden Lebensstandards nimmt deutlich zu. Von 1990 bis 2020 wird die weltweite Nachfrage nach tierischen Erzeugnissen um 74 Prozent steigen. Dies bedeutet, dass die Bauern Getreide in größerer Menge verfüttern werden als bisher. Zur Erzeugung einer Nahrungskalorie in Form von tierischen Produkten wird jedoch ein Vielfaches an Kalorien in pflanzlicher Form verbraucht: Bei Schweinefleisch beträgt das Verhältnis 3:1, bei Milch 5:1, bei Rindfleisch 10:1 und bei Hühnerfleisch sogar 12:1.In den Industriegesellschaften wirken sich veränderte Lebensformen (wie etwa die Zunahme an Alleinerziehenden und Singlehaushalten) auf die Ernährungsgewohnheiten aus und beeinflussen folglich auch die Erzeugung und Vermarktung von Lebensmitteln. In Zukunft werden wesentlich mehr vorgefertigte Produkte, Convenienceprodukte, den Markt bestimmen als bisher. Die verbesserten Informationsmedien werden nicht nur für genauere Marktanalysen genutzt (die großen Handelsketten werden über detaillierte Kundengruppenprofile verfügen und ihre Produktpalette darauf abstimmen), sondern auch beim Einkauf traditionelle Handelsstrukturen durch Teleshopping und Ähnliches ersetzen. Damit aber nimmt in Zukunft der Einfluss der Lebensmittelindustrie auf die Landwirtschaft weiter zu. Anbau, Transport, Verarbeitung und Vermarktung werden vertraglich und organisatorisch immer enger zusammengeschlossen. Mit anderen Worten: Die Landwirtschaft wird mehr und mehr zur spezialisierten Industrie.Moderne Verfahren für Pflanzenbau und TierhaltungEin hoher Technisierungsgrad, Einsatz von Mineraldüngern und synthetischen Pflanzenschutzmitteln, die vermehrte Nutzung von elektronischen Informationsmedien und der Einsatz neuer genetischer Verfahren in der Züchtung kennzeichnen die modernen Verfahren des Pflanzenbaus und der Tierhaltung in den Industriestaaten, wie der folgende Abschnitt an einigen kurzen Beispielen erläutert.Die Ausstattung mit teilweise sehr spezieller Agrartechnik ist auf zahlreichen Betrieben gut. Viele Höfe verfügen über Traktoren mit großer Zugkraft, sodass die Bodenbearbeitung bei günstigen Witterungsverhältnissen mit »hoher Schlagkraft« durchgeführt werden kann. Allerdings besteht bei jedem Arbeitsgang mit einem Traktor die Gefahr, dass der Boden unter den Fahrspuren verdichtet wird. Daher ist man etwa bei der Minimalbodenbearbeitung bemüht, mehrere Arbeitsgänge miteinander zu koppeln, um häufigere Fahrten über das Feld zu vermeiden. So baut man zum Beispiel für das Eggen des Saatbetts, die Herbizidspritzung und die Saat die drei entsprechenden Geräte gleichzeitig an den Traktor an.Die meisten Bauern gebrauchen den Computer nicht nur für die Buchführung, sondern nutzen damit auch vielfältige Informationsdienste. Die Stickstoffdüngung des Getreides etwa wird in ihrer Höhe an der Verfügbarkeit von Stickstoffvorräten im Boden bemessen. Aus Bodenuntersuchungen im Herbst und aus Düngungsempfehlungen nach computergestützten Prognosemodellen erhält der Landwirt genaue standortspezifische Angaben über die ökologisch und ökonomisch voraussichtlich optimale Stickstoffmenge und -verteilung.Pflanzenkrankheiten haben oft einen epidemieartigen Verlauf. Deshalb informieren Warndienste über die Entwicklung bestimmter Krankheiten, leiten zur Erfassung des Krankheitsumfangs im Pflanzenbestand an und geben schließlich Hinweise zur Ermittlung der »Schadschwelle« an. Darunter versteht man die Befallsstärke, von der an eine (chemische) Bekämpfung erfolgen sollte, weil der wirtschaftliche Schaden durch die Ertragseinbußen die Kosten einer Spritzung übersteigt.Auch in vielen Ställen hat die Elektronik bereits ihren festen Platz. Bei einer Milchleistung von 6000 bis 8000 Kilogramm pro Kuh und Jahr sind energiereiche Futterrationen üblich, die oft auf Kraftfutterkonzentraten basieren. Die Milchleistung einer Kuh ist aber nicht jeden Tag gleich, sondern verläuft während der Laktationsperiode dynamisch. Das Tier braucht nicht immer gleich viel Futter, da der größte Teil der Energie in Milch umgesetzt wird und nur ein geringer Anteil für den Grundumsatz des Stoffwechsels nötig ist. Heute in vielen Ställen nicht mehr wegzudenken ist deshalb der Mikrochip am Halsband: Er führt Buch über den Besuch der jeweiligen Kuh am Futterautomaten und sperrt die weitere Abgabe von Kraftfutter, wenn die Kuh ihre dem aktuellen Leistungsstand entsprechende Tagesration gefressen hat.Die Rolle der Züchtung nimmt zuGroße Bedeutung für den Anstieg des pflanzlichen Ertragspotenzials und die Leistungssteigerungen in der Tierhaltung hatte in den letzten Jahrzehnten die Züchtung. Jahrhundertelang arbeitete die Züchtung durch Auswahl von bereits Vorhandenem. Durch Selektion (Auswahl) und gezielte Kreuzung näherte man sich Schritt für Schritt den jeweiligen Zuchtzielen wie etwa schnelleres Wachstum, bessere Qualität, höhere Leistung oder Krankheitsresistenz.Erfolgreiche Kreuzungen werden bei Pflanzen über das Saatgut (geschlechtliche Fortpflanzung) oder durch Zellkulturen (vegetative Vermehrung, Klonierung) vermehrt. Bei Nutztieren, vor allem bei Milchvieh, überträgt man die selektierten erwünschten Eigenschaften auf die Nachfahren durch das Erbgut der männlichen Tiere (künstliche Befruchtung). Bei künstlich befruchteten Kühen mit einer herausragenden Hochleistung transferiert man die Embryonen auf andere Kühe. Dank solcher »Leihmütter« ist es möglich, von Hochleistungskühen mehr Nachkommen zu produzieren.In den letzten Jahren haben neue Methoden der Molekularbiologie in die Züchtungspraxis Einzug gehalten, die gezielt neue Kombinationen und Manipulationen bestimmter Eigenschaften hervorbringen können. Seit einigen Jahren ist das Klonen von Embryozellen und auch von bestimmten ausgewachsenen Zellen möglich. Für die Zukunft wird der Biotechnologie deshalb ein Boom im Landwirtschafts- und Nahrungsmittelsektor vorausgesagt. Auf der anderen Seite gab es in der jüngsten Vergangenheit keinen Wachstumsbereich, der von der Öffentlichkeit mit so viel Distanz, ja Unbehagen beobachtet wurde und der die naturwissenschaftliche Diskussion um ethische Gesichtspunkte erweitert hat.Gentechnik in der LandwirtschaftEin jedes Lebewesen trägt im Zellkern einer jeden Körperzelle seine gesamten Erbinformationen in Form der DNA. In diesen Molekülen finden sich — wie an einem Doppelstrang aufgereiht — vier bestimmte chemische Verbindungen, deren Abfolge wie ein Code biochemische Prozesse, Entwicklungsprozesse und äußerliche Merkmale und Eigenschaften bestimmt.Während die Biotechnologie in der Human- und Tiermedizin vor allem zu methodisch-diagnostischen und auch therapeutischen Zwecken genutzt wird, sind es in der Landwirtschaft vor allem Ziele, die mit der besseren Anpassung von Pflanzen und Nutztieren an äußere Bedingungen und mit hilfreichen oder schädigenden Wechselbeziehungen zwischen Organismen zu tun haben. Zwei Schwerpunkte hat die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet der Biotechnologie: die Entzifferung des genetischen Codes für bestimmte Eigenschaften — hierzu werden Genomkarten erstellt — und die Übertragung solcher Eigenschaften zwischen Organismen — dies geschieht durch genetischen Transfer.Bei manchen Arten von Hefen, Reis und Fruchtfliegen (aber auch beim Menschen) arbeiten Wissenschaftler an den Kartierungen des vollständigen Genoms, also aller Sequenzen der gesamten Erbinformation. Mit solchen Genomkarten kann man bestimmte Sequenzen bestimmten Funktionen zuordnen und in den weniger erforschten Genomen Genfamilien auffinden, die zur gleichen Funktion beisteuern. Diese Kenntnisse nützen dann Züchter für den genetischen Transfer erwünschter Eigenschaften.Genetische Veränderungen nimmt man heute sowohl an Nutzpflanzen als auch an Bodenmikroorganismen vor. Tomaten, Sojabohnen, Raps und Kartoffeln sind die Empfänger fremder Eigenschaften, die sie ertragreicher, schmackhafter, haltbarer und ernährungsphysiologisch wertvoller machen sollen. Befürworter der Gentechnologie sehen zudem einen großen Vorteil in der umweltfreundlichen Gestaltung der Anbauverfahren. Durch neue Resistenzen gegenüber Krankheiten und Schädlingen würden die Aufwandmengen an Agrochemikalien sinken, zudem würden Resistenzen gegen Dürre oder Versalzung die Häufigkeit von menschlichen Eingriffen in das Ökosystem reduzieren.Inwieweit die gentechnisch übertragene Toleranz gegen Totalherbizide auf Kulturpflanzen ein Umweltvorteil ist, wird zumindest in Deutschland sehr kontrovers diskutiert. In einem solchen Bestand kann ein Totalherbizid sämtliche grünen Pflanzen bis auf die tolerante Kultur abtöten. Die Befürworter führen die geringeren nötigen Herbizidmengen pro Hektar an; die Gegner prangern es als die lediglich billigere, aber nicht weniger toxische Lösung an, die dazu führen werde, dass Nahrungsmittel generell mit Herbiziden besprüht werden. Noch größer sind die ethischen Bedenken bei Genmanipulationen und biotechnologischen Eingriffen in der Tierproduktion. Hier erwägen Fachleute zum Beispiel den Einsatz von Genen, die Wachstumshormone, Krankheitsresistenzen und die Milchqualität beeinflussen. Die Gentechnikgegner kritisieren daran unter anderem, dass ein genetischer Zwang zur Höchstleistung vom tierischen Organismus immer weniger verkraftet wird und dass das Einzeltier an nicht artgemäße Haltungsbedingungen angepasst werden soll.In der Bodenmikrobiologie sind die gentechnischen Ziele weniger leistungs- als umweltorientiert. So geht es um den Abbau von Pestiziden und um einen besseren biologischen Pflanzenschutz. Auch die Fähigkeit bestimmter Bakterien, Luftstickstoff zu binden, steht im Mittelpunkt des Interesses und soll auf Getreide übertragen werden.Die mit der Biotechnologie verbundenen Gefahren bestehen in erster Linie in den nicht mit absoluter Sicherheit voraussehbaren Folgen. Ob der Einsatz Vor- oder Nachteile für die Umwelt bewirkt, entscheidet sich am jeweiligen Standort. Oft reicht die Vielfalt der Natur für kostengünstige, umweltfreundliche und allgemein akzeptierte Lösungen. Gegner der Gentechnik befürchten, dass durch die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen die übertragenen Eigenschaften auf verwandte Wildarten überspringen könnten. Einmal freigesetzt, sei das Zurückholen bestimmter Gene ins Labor nicht mehr möglich. Problemunkräuter könnten auf diese Weise sogar herbizidresistent werden. Oder noch schlimmer: Bestimmte Gene für eine Antibiotikaresistenz könnten auf Krankheitserreger überspringen, sodass sich diese kaum noch bekämpfen ließen. Auch Allergierisiken, die Einengung der globalen genetischen Vielfalt und mangelnde sozioökonomische Verträglichkeit werden oft als Kritikpunkte angeführt. Die Gesetzgeber sind daher gefragt, über Kontrollmechanismen die nötige Transparenz für die Öffentlichkeit zu schaffen.Führend auf dem Gebiet der Gentechnologie sind derzeit die westlichen Industrienationen. Mehr als 50 Prozent aller Patente, die für Gene und Sorten, aber auch den Anbau und nachgelagerte Bereiche vergeben werden, halten derzeit US-amerikanische Firmen. Prognosen sehen in der Gentechnik einen ausgesprochenen Wachstumsmarkt für Investoren. Da ihre Anwendung hohe Investitionen erfordert, engagieren sich vor allem die internationalen Konzerne des Agrar- und Nahrungsmittelsektors auf diesem Gebiet. In Zukunft wird eine Entwicklung erwartet, die in zunehmend global vernetzten Strukturen von Anbietern, Produzenten, Vermarktern und Konsumenten münden wird.Dr. Annette Piorr und Dr. Hans-Peter PiorrWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Landwirtschaft: Agrarökosysteme und BodenfruchtbarkeitDossier: Welternährung, bearbeitet von Dieter Beste u. a. Heidelberg 1997.Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro. Dokumente, herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Bonn 1997.Oehmichen, Jobst: Pflanzenproduktion. 2 Bände. Berlin u. a. 1983—86.Oltersdorf, Ulrich/Weingärtner, Lioba: Handbuch der Welternährung. Die zwei Gesichter der globalen Nahrungssituation, herausgegeben von der Deutschen Welthungerhilfe. Bonn 1996.Schug, Walter u. a.: Welternährung. Herausforderung an Pflanzenbau und Tierhaltung. Darmstadt 1996.
Universal-Lexikon. 2012.